Judith Hermann: Daheim

 

Judith Hermann: Daheim

 

ISBN: 978-3103970357

 

Verlag S. Fischer

 

 

Klappentext:

 

„‘Was brauchen wir und worauf können wir verzichten. Wir sind Trabanten, denke ich, wir kreisen um unsere Sonnen, jeder um seine eigene.‘

Sie lebt in der Stadt, arbeitet in der Zigarettenfabrik, könnte als Assistentin eines Zauberers auf einem Kreuzfahrtschiff nach Singapur reisen und muss sich entscheiden; ein halbes Leben später fällt ihr dieser lang vergessene Wendepunkt plötzlich wieder ein. Jetzt lebt sie auf dem Land und an der Küste. Sie hat sich ein Haus eingerichtet, schließt eine vorsichtige Freundschaft, versucht noch einmal eine Liebesgeschichte. Kann sie bleiben? Oder wird sie weiterziehen. Sie hat vieles hinter sich gelassen und wird eine andere. Eine alte Welt geht verloren und eine neue entsteht. Judith Hermann erzählt von der Erinnerung, den Entscheidungen und dem Augenblick, in dem das Leben sich teilt – von einem Aufbruch.“

 

Was der Klappentext auslässt: Zwischen Zigarettenfabrik, Zauberer und Neuanfang an der Küste liegen etwa zwei Jahrzehnte als Ehefrau und Mutter einer Tochter. „Sie“, die Protagonistin, bleibt im Roman „Daheim“ von Judith Hermann namenlos. „Sie“ ist nicht zu müde, um fortzugehen und ein neues Leben zu beginnen. „Sie“ geht aus freien Stücken -  das macht es vielleicht leichter. „Sie“ hat die Kraft, sich minimalistisch in einem neuen Haus einzurichten, einen Job anzunehmen, sich auf neue Menschen einzulassen. Da, wo sie war, hält sie nichts. Ihre Tochter zieht mit 18 Jahren nicht nur aus der elterlichen Obhut aus – sie geht gleich ganz weit weg, hinaus in die Welt, ohne ein konkretes Ziel zu nennen und hält nur losen und unregelmäßigen Kontakt zu den Eltern. Die reiben sich verwundert die Augen: Was tun, wenn der Mittelpunkt des gemeinsamen Lebens sich auf und davon macht? Viele Ehen scheitern an diesem Punkt oder offenbaren sich als leeres Konstrukt, das keiner mehr braucht. „Sie“ kann jedenfalls mit diesem Leben nichts mehr anfangen und muss gehen.

 

Das Loslassen der Tochter, die Sehnsucht aushalten, den Verlustschmerz ertragen, sie nicht mit Kontaktversuchen drangsalieren – eine große Aufgabe für Eltern, wenn das Kind sich auf einen Weg gemacht hat, den es ausdrücklich vorerst allein gehen will.

 

Wie Judith Hermann dieses Thema in ihren Roman verwebt, hat mich sehr berührt. Einige Passagen waren von solch wuchtiger Intensität, dass ich sie nur hastig lesen konnte, um ihnen wieder zu entkommen. Ich werde dieses Buch also bald noch einmal lesen, damit mir kein Detail entgeht.

 

„Sie“ ist sich nicht sicher, ob sie am neuen Ort bleiben wird oder ob sie weiter ziehen muss. Die Entscheidung, sich neu zu verwurzeln oder auf dem Sprung zu bleiben, fällt noch nicht. Fragen, die sich wohl viele stellen, die ein Leben, Familienmitglieder und ein soziales Netzwerk irgendwo zurücklassen und einen Neuanfang wagen. Wie sich dieser Zustand anfühlen kann, erzählt Judith Hermann in einer wunderbaren Sprache. Das ist Literatur.

 

„Daheim“ ist ein Buch wie ein Freund, der versteht, worum es im Leben geht. Diesen Roman zu verpassen wäre ein Fehler.

 

Ein Soundtrack zum Buch:

„I’m getting tired of starting again
somewhere new…“

Foo Fighters / Best Of You

 

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